Bloggen oder nicht bloggen, die Frage stellt sich mir seit Jahren. Die Lust auf’s Schreiben und der Zweifel, dass jemand es liest, liegen im Dauerzwist. Da kam Judith ‘Sympatexter’ Peters‘ Challenge damals wie gerufen: “Schreibt einen Blogpost darüber, wie ihr zu dem geworden seid, was ihr jetzt seid.” Klar, kein Problem. Moment, das beutetet, ich muss dieses WAS definieren?!?
Darum geht’s hier und heute!
Die Faszination der Farben
Als ich klein war, wollte ich Künstlerin werden. Farbe, das war mein Ding, immer schon. Egal ob als Wachsmalstifte, Buntstifte in meinem Mäppchen, Wassermalfarben, Plaka-Farben-Töpfe, Seidenmal-Farben, Hinterglasmalerei-Farben, Wolle…. ich bin ein Farbfreak. Und ich wollte immer alle Farben haben (ok, ich bin auch eine Sammlerin). Mein Vater war der Ansicht, dass man nur die drei Grundfarben, weiß und schwarz von jeder Sorte Farbe benötigt. Das fand ich ausgesprochen doof, ich fand: je mehr, desto besser. Hier ist mein Blogpost über Farben.
Rückblick Nähen I
Meine Oma mütterlicherseits ware eine begnadete Schneiderin. Sie konnte Kleider aus Fliegerseide zaubern und Wehrmachtsuniformen in Kindermäntel verwandeln. Mit dem Nähen hat sie ihre Familie durch die Kriegs- und Nachkriegsjahre gebracht, im Tauschgeschäft gegen Kartoffeln, Mehl und Zucker. Ich kann mich noch an die eingebaute Maschine erinnern, sie stand bei meinen Großeltern in der Wohnküche. Das Nähen hat mir meine Oma nicht beigebracht. Sie hat mir lieber Bücher gekauft, die ich verschlungen habe. Nähen? Ich? Nö!
Dann kamen die Buchstaben
In der ersten Klasse stand für mich fest, dass ich Schriftstellerin werde. Denn meine zweite große Leidenschaft sind Buchstaben. Ich habe keinen Platz in meinem Hirn für Zahlen, die fügen mir fast körperliches Unbehagen zu. Aber Buchstaben mögen mich, und ich mag sie. Die meisten meiner DeutschlehrerInnen haben das ähnlich gesehen. Ich habe immer gerne – und sehr viel – geschrieben, angefangen mit einer epischen siebenseitigen Abenteuergeschichte im dritten Schuljahr (es kam ein Weltraumschifffriedhof darin vor, den ich mit drei f (damals falsch, heute richtig) geschrieben habe. Meine Schullaufbahn habe ich mit der extra meinetwegen eingeführten Wortobergrenze in Klausuren beendet, weil die LehrerInnen leicht genervt von meinen 30-seitigen Ergüssen waren.
Rückblick Nähen II
Meine andere Oma war ein echtes Unikat und stur für vier. Aber sie hatte eine coole Devise: ‘Wer sich langweilt, ist selbst schuld’. Sie hatte immer etwas zu tun und konnte jederzeit in ihren Wohnzimmerschränken Käseschachteln finden, mit denen ich dann basteln durfte. Sie beherrschte jede Handarbeit, in Perfektion. Ihre Spezialität war es, Stoffreste in Fäden zu zerteilen, mit denen sie dann genähte Kuscheltiere ausgestopft hat. Ich habe es geliebt, ihr dabei zu helfen. Mein lebensgroßer Bernersennenhund hieß Lukas und wog eine Tonne (Stoffreste sind irgendwie schwerer als Füllwatte). Das Nähen hat mir meine Oma nicht beigebracht, ich sollte lieber was Ordentliches lernen.
Nähen? Ich? Nö!
Bo und die anderen
Als Teenie habe ich dann meine dritte Leidenschaft entdeckt: Menschen. Ihr Verhalten, besonders, wenn es irgendwie unerklärlich erscheint. Oder ganz besonders viel Sinn macht, es sozusagen psycho-logisch ist.
Mit dreizehn habe ich das Buch “Bo und die anderen” von Torey L. Hayden gelesen. Oder aufgesogen. Es ist in irgendeiner Kiste auf dem Dachboden in Deutschland, ich muss es unbedingt nochmal anschauen, denn nach der Lektüre war glasklar, was ich werden wollte: Psychologin.
Rückblick Nähen III
Meine Mutter hat die Begabung ihrer Mutter geerbt und fantastische Abendkleider genäht, die sie dann liebend gerne – jeden ersten Freitag im Monat – in die Oper angezogen hat. Einmal hat sie mit meiner Freundin und mir Röcke für uns genäht, mit Gummizug oben. Mehr Nähen hat sie mir nicht beigebracht, ich sollte Informatik (!) studieren. Nähen? Ich? Nö!
Creativa Dortmund
Ich habe lieber alle Handarbeiten ausprobiert und sämtliche Basteltrends der letzten fünf Jahrzehnte mitgemacht, vielleicht bis auf die Moosgummitechnik und Klöppeln. Also musste ich irgendwann auch mal die Creativa in Dortmund besuchen. Im März 2014 war ich mit zwei Freundinnen da, und ich erinnere mich noch sehr genau, dass ich Stoffstände frohen Mutes links liegen gelassen habe, mit den Worten: “Was für ein Glück, dass ich hier nicht gucken muss, mit dem Nähen werde ich sicher nicht anfangen”. Ich und nähen!
Irgendwie lalala
Und dann kam ein denkwürdiger Tag, Ende 2014, nur wenige Monate nach der Creativa. Regenwetter, die beiden Großen beim Ballett, eine Stunde mit der Kleinen überbrücken. Zu nass für einen Spaziergang durch Bensberg, zu wenig Zeit, nach Hause zu fahren. Also folge ich der bunten Fahne, die mir vorher nie aufgefallen war: Kind-Bestechungsbrötchen im Bioladen nebenan, und auf geht’s in den Stoffladen: lalala. Es hat keine fünf Sekunden gedauert, und ich war angefixt: Wie im Rausch bin ich zur Kasse, um zu fragen, wo ich nähen lernen könnte. Konnte ich gleich vor Ort, also habe ich mich ohne zu Zögern für den nächstbesten Kurs angemeldet. Dass es sich um einen Patchworkkurs mit Biggi Irion handelte, habe ich notgedrungen hingenommen, obwohl mir gleich klar war, dass so ein Oma-Kram nichts für mich ist (Ja, ich habe inzwischen gemerkt, dass ich das irgendwie falsch eingeschätzt habe)
Im Quiltland
Am 20.12.2015 sind wir nach Michigan gezogen, ins Land der 1000 Quiltgilden; nach Ann Arbor, die Stadt der GAAQG. Ich war immer noch absoluter Neuling, als ich im Mai 2016 zum ersten Workshopder Gilde ging – absolut ohne jede Idee, was mich erwartete. Seither habe ich weit mehr als 100 Workshops, Vorträge, Veranstaltungen, Ausstellungen…. besucht – Alice im Wunderland, bzw. Nico im Quiltland. Hier und hier kannst Du ein bisschen darüber lesen, was ich meine.
Was mich an Quilts so fasziniert? Wenn ich jetzt anfange, müsste wahrscheinlich das Internet erweitert werden, deswegen kommen hier nur Stichworte hin:
- Die Geschichte und Geschichten, die nicht meine sind, mich aber tief berühren
- Stoffe – feine neue und bedeutungsvolle gebrauchte, die eine schöne Bestimmung bekommen
- Farben – na klar
- Kunst macht mich glücklich
- Ausdrucksmöglichkeiten
- Craftivism, nicht erst seit heute
- Grenzenlose Vielfalt
- und ganz besonders: Gemeinschaft
Die Frauen hatten bei der Entstehung dieses Quilts (1885-1890) noch kein Wahlrecht. Trotzdem hat die unbekannte Künstlerin heftig Wahlwerbung in ihren Quilt eingearbeitet. Zu dieser Zeit waren die sogenannten Crazy-Quilts unglaublich populär. Sie waren ein echtes ‘Must have’ und Beweis, dass man sich viele unterschiedliche Seidenstoffe leisten konnte und die Dame des Hauses genug Mußezeit hatte, sich der Handarbeit zu widmen. Der Quilt ist in der Sammlung des American Folk Art Museum, die Fotos habe ich bei einer Ausstellung im Toledo Art Museum gemacht
Neue Perspektive
Hier habe ich beschrieben, was für ein einschneidendes Erlebnis dann der erste Kurs mit Sherri Lynn Wood war. Auf dem Weg zum Workshop habe ich mit meiner Freundin darüber philosophiert, wie schwer es ist, ohne definiertes Ziel zu leben, den ersten Schritt zu tun, ohne einen 100% wasserdichten Plan zu haben, auf sein Bauchgefühl zu vertrauen. Und konnte es dann nicht fassen, dass es in diesem Workshop, in dem ich zum ersten Mal von Improv-Quilting gehört habe, um genau das ging: Mutig drauflos zu schneiden, ohne eine Anleitung oder nur eine Idee von dem fertigen Quilt zu haben. Sich selbst zu vertrauen und einfach erstmal den ersten Schritt (oder besser: Schnitt) zu machen. Das hat sich angefühlt wie bei der Versteckten Kamera: Die Grenzen zwischen echtem Leben und Quilten hatten sich aufgelöst. An diesem Freitag im November 2016 wurde mir klar: Quilten ist Psychotherapie.
Der Sinn
Als im Herbst 2017 ein lieber Freund von uns einen tödlichen Unfall hatte, war ich so geschockt, dass ich meiner Freundin noch nicht einmal eine Karte schreiben konnte. Alle Worte wären zu banal gewesen. Eine andere Freundin sprach damals davon, wie stark unsere gemeinsame Freundin sei, dass sie schon Kleidungsstücke weggeben könne. Und da hat es mich dann erwischt. Ein paar Minuten habe ich ernsthaft gedacht, ich hätte Erinnerungsquilts erfunden. Naja, Google hat mich dann wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Sie sind in Amerika sehr selbstverständlich. Und ausgerechnet Sherri Lynn Wood ist bekannt für ihre Arbeit mit Kleidungsstücken. Mittlerweile habe ich viele Workshops mit Sherri Lynn gemacht, sie inspiriert mich ungemein.
Der Weg
Apropos Workshop. Weil ich so wild entschlossen bin, meinen Quiltenthusiasmus zu teilen, habe ich an einem Programm bei Shannon Brinkley (eine Quilterin hier aus den USA) teilgenommen. Damit bin ich zertifiziert, ihre Technik und ihre bewährten Farbenlehre-Kurse zu unterrichten. Aber in dem ziemlich umfangreichen Lehrgang ging es um soviel mehr, um das ganze Drumherum und Hintergrundwissen: Wie stellt man grundsätzlich einen Workshop zusammen, organisiert ihn, bekommt Aufträge, wirbt, betreut TeilnehmerInnen, spricht,…. das war super intensiv und spannend. Jetzt bin ich schon mal offiziell Quilt-Lehrerin und habe ziemlich viel Spaß daran, Vorträge zu halten und Workshops zu leiten. Manchmal muss ich mich kneifen…
Das Ziel: Textil-Therapie mit Erinnerungsquilts
Zeitgleich entwickle ich neue Workshops: Für Trauernde, die sich mit dem Schmerz auseinandersetzen, indem sie die Kleidungsstücke ihrer Lieben, das Alte zerschneiden, um sich aus den Stücken ihrer Vergangenheit eine Zukunft zu gestalten. Ein Quilt ist genähte Liebe.
Oder Menschen, die sich um ihr inneres Kind, um alte Konflikte kümmern wollen, indem sie Überbleibsel einer schwierigen Vergangenheit neu definieren, auseinandernehmen und ummünzen in eine schützende, selbstbestimmte Ordnung.
Und damit kommt alles zusammen, meine Leidenschaften sind vereint: Menschen, Quilts, Farbe, Kunst, Buchstaben und Psychologie. Alles auf einmal, und auf einmal macht alles Sinn.